Besondere Tisch–Ereignisse

HUNGER - russische Waffe im Ukraine-Krieg
26.05.2022
18:43 Uhr

HUNGER - russische Waffe im Ukraine-Krieg

Ein Himmelfahrts-Essay

 

"Putin setzt im Ukraine-Krieg auf Hunger"

(so die die folgenden Gedanken auslösende Artikelüberschrift FAZ 21.05.2022, S. 2)

Während wir in Deutschland in erster Linie auf unsere Gasabhängigkeit von Russland und die Gefährdung der Energieversorgung durch den russischen Ukrainekrieg schauen und uns allenfalls nebenbei wundern, warum in der UN-Vollversammlung so viele Länder insbesondere der Dritten Welt Russland dafür nicht verurteilt haben, haben eben diese Länder ganz andere Sorgen: die Gefährdung ihrer Ernährung, die sie erpressbar macht.

UN-Generalsekretär Guterres: „Wir müssen alles tun, um einen Hurrikan des Hungers und einen Zusammenbruch des globalen Ernährungssystems abzuwenden.“

 

Russland und die Ukraine standen vor diesem Krieg für zusammen ca. 60 Millionen Tonnen oder 30 % des globalen Weizenexports. Empfänger waren zahlreiche Länder vor allem in Asien und Afrika. So importierten 45 afrikanische Länder ihren Weizen mehrheitlich aus Russland und der Ukraine (allein Ägypten 8,3 Mio t aus Russland und 3,1 Mio. t aus der Ukraine). Für Länder wie Kamerun, Algerien, Libyen, Äthiopien, Kenia und Mosambik sehen Experten empfindliche Folgen in der Versorgung mit  Nahrungsmitteln voraus. So bezog der ohnehin schwer gebeutelte Libanon seinen Weizen gar zu 95 % aus der Ukraine. Die 4 nächstgrößten Exporteure (EU 15 %, Kanada 14 %, USA 13 %, Australien 10 % Anteil am Weltexport) können den Ausfall der Ukraine-Mengen mangels kurzfristiger Steigerungsmöglichkeiten nur teilweise auffangen.

Mit der mengenmäßigen Verknappung geht ein dramatischer Preisanstieg einher: Kostete die Tonne Weizen 1 Tag vor Russlands Einmarsch in die Ukraine noch 287 US-$ pro Tonne, ist der Preis inzwischen mehr als doppelt so hoch (672 $/t Ende April).

 

In dieser Situation wittert(e) Russland seine ökonomischen, vor allem aber globalpolitischen Chancen in der Dritten Welt. Man bleibe, so bewirbt der russische Wirtschaftsentwicklungsminister Maxim Reschetnikow die eigenen Lieferqualitäten, trotz der gegenwärtigen Bedingungen ein verlässlicher Lieferant für alle Länder, die sich nicht gegen Russland stellen (Medwejew, Putins Vertretermarionette: „Russland ist bereit, seine Verpflichtungen vollumfänglich zu erfüllen, erwartet aber von den Handelspartnern Unterstützung, u.a. auf den internationalen Foren“, also Weizen gegen Verzicht auf jedwede Verurteilung des Angriffskriegs). Und Jelena Tjurina vom Russischen Getreideverband erwartet, dass „viele Länder, die bisher ukrainischen Weizen gekauft haben, sich nun vor allem russischen Exporteuren zuwenden, die auf diese Weise dem russischen Weizen nachhaltig neue Märkte erschließen können“ (s.o. Libanon 95 % aus der Ukraine, Äthiopien 45 % von dort). 40 Mio. Tonnen aus der aktuellen russischen Rekordernte von 87 Mio. t könnten in den Export an sich nicht gegen Russland stellende Länder gehen, erhöht noch um die Mengen, die Russland derzeit aus ukrainischen Silos stiehlt.

 

Russland habe diese weltweite Krisensituation durch seinen Krieg ausgelöst? Mitnichten, heißt es dort mit spitzfindiger Sowjetdialektik: Es sei doch die Ukraine, die in ihren Häfen derzeit 75 mit Weizen beladene Schiffe blockiere und überdies die Seewege im Schwarzen Meer vermint habe. Und überhaupt, so W. Nebensja/Russlands Ständiger Vertreter bei den UN ganz sowjetzeitenlike weiter, trage der Westen mit seinen „geopolitischen Spielen“ die Schuld an der Krise, unter der „die ärmsten Länder und Regionen nun leiden. Spiele, die darauf zielten, das ukrainische Getreide nicht in hungernde Staaten des Südens, sondern in die Getreidespeicher europäischer Länder gelangen zu lassen“.

Eine willkommene Gelegenheit für die in der Dritten Welt, insbesondere Afrika ohnehin sehr aktive russische Propaganda, Russlands Bild zulasten des Westens aufzuhübschen (Kanzler Scholz hat das gerade bei seiner Afrikareise unverblümt erfahren dürfen).

Wer Hungersnöte für sein Land befürchtet, stimmt in der UN-Vollversammlung nicht für Verurteilung und Boykott, wenn schon Stimmenthaltung Russlands Wohlwollen sichert.

 

 

Da war doch was, da war doch was mit Getreide und sowjetischer Rabulistik, vor Jahrzehnten in der Literatur, rumort es leicht bei Lit.

Ja, Ex libris literati: „The Ugly American“, William Lederer’s und Eugene Burdick’s Bestseller 1958 noch vor dem Vietnamkrieg, rausgekramt (Corgy Book, Transworld Publishers London reprinted 1961). Im Kapitel 2 „Lucky, Lucky Lou #2“, S. 34 ff. fündig geworden: Im Süden des asiatischen Phantasielandes Sarkhan herrschte bittere Hungersnot. Die USA beschlossen, per Schiff 14.000 Tonnen Reis zu liefern, was die Sowjets in Erfahrung brachten. Als die Säcke entladen wurden, hatte der sowjetische Botschafter trickreich vorgesorgt: On each bag of rice there was stenciled in Sarkhanese for every citizen to see and read for himself: „This rice is a gift from Russia.“ … Subsequent American grain ships were properly safeguarded, but the people of Sarkhan continued to believe that Russia was their friend and provider“. Das war sogar noch wirkungsvollere Propaganda, da die Sowjets nicht einmal liefern mussten. (Dafür haben sie jetzt immerhin den Effekt, nicht ‚nur‘ an kräftig gestiegenen Gas- und Ölpreisen zu verdienen, sondern auch am Weizenexport: 27 Mrd. $ p.a. für 40 Mio. Tonnen statt 11,5 Mrd., ohne den aus der Ukraine gestohlenen Weizen - Wohltäter eben.).

 

Genauso wenig frei erfunden diese Geschichte wie auch die anderen Kurzgeschichten aus „The Ugly American“: „We would not wish any reader to put down our book thinking that what he has read is wholly imaginary. For it is not; it is based on fact. Although the characters of the book are indeed imaginary and Sarkhan is a fiction, each of the small and sometimes tragic events we have described has happened … many times. Too many times. We believe that if such things continue to happen they will multiply into a pattern of disaster.“ Das war, ungeahnt, die Vorhersage des Vietnamkriegs, denn solche Dinge passierten eben weiterhin.

Lits Empfehlung: Ruhig mal wieder lesen – mit etwas Phantasie unverändert aktuell.

 

Lit-erarische Nebenbemerkung: Der „Häßliche Amerikaner“, der Titel des Buches wurde später unbeabsichtigt zum Synonym für den tolpatschig durch die Weltpolitik trampelnden Amerikaner ohne jedes Gespür für lokale Befindlichkeiten, Andersartigkeiten. Obwohl der Ugly American, Hauptfigur der Kapitel 17, 18 und 19 (S.204 – 238) zwar im Wortsinn häßlich anzuschauen ist, aber als ein vom „Amerikaner“ völlig positiv abweichender Protagonist geschildert wird.

 

 

NB Ein wenig so, wie bei Albert Hammond‘s bekanntem Hit „It never rains in Southern California“, was hierzulande ein jeder mitsingen kann - überzeugt, zu singen, dass es in Südkalifornien niemals regnet (gerade vor ein paar Stunden so wieder von der WDR4-Moderatorin gesagt) – nicht hörend, dass die Fortsetzung des Satzes lautet, dass es dort nicht regnet ... sondern schüttet („but girl, don‘t they warn ya, man it pours, man it pours“). 

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